Geschichtliches
Johann Georg Kling ahnte nicht, als er 1763 zum Schultheißen von Gerlingen gewählt wurde, wie viele Unannehmlichkeiten und Beschwernisse, wie viel Not und Mühe, zusätzliche Arbeit, Schreibereien, Eingaben, Bittschriften, Ärger und Verdruss ihm dieses Amt bis zu seinem Lebensende im Jahr 1791 bereiten würde. Wer weiß, ob er es übernommen hätte. Woher kamen nun alle diese Beschwernisse? Einzig und allein durch den Bau des Schlosses Solitude.
Im Herbst 1763 hatte der damalige Herzog Carl Eugen anlässlich einer Jagd beschlossen, dort oben bei den „Fünf Eichen" im Gerlinger Wald ein Jagdhaus zu errichten, das sich aber rasch zu einem Schloss mit sehr großen Anlagen ausweitete. Der großartige Ausblick von dieser Stelle auf einen Teil seines Landes hatte es ihm angetan. Hier wollte er sich nach des Tages Hast und Mühen in der „Einsamkeit" erholen. So kam das Schloss zu seinem Namen „Solitude".
Von dieser Zeit, aber auch von den Leiden, die unsere Gerlinger Vorfahren durch dieses Bauwesen „prästieren" (leisten) mussten, soll im zweiten „Gerlinger Heimatblatt" nach der erfolgten Wiedereröffnung des Schlosses Solitude am 17. Juli 1983 berichtet werden. Mehr als zehn Jahre war es wegen Renovierungsarbeiten geschlossen.
Man wird deshalb in diesem Bericht keine Namen finden wie Werkmeister Weyhing, Guepière, Guibal oder Seeger, Moser oder Schubart. Ja, es wird kaum einmal der Name Schiller genannt, da diesem noch ein eigenes „Gerlinger Heimatblatt" vorbehalten sein soll. Dagegen wird man von Höhn, Heck, Maisch lesen, von Strauß, Heim, Bockel, von Pfarrer Pfeilsticker und vielen anderen.

Wer war dieser Herzog Carl Eugen, von dem ein Zeitgenosse sagte, dass er sehr vielfältig begabt gewesen sei. Und von dem Gerhard Storz in seinem Buch „Karl Eugen, der Fürst und das ,alte gute Recht'" schreibt: "Schon der erste Blick trifft auf eine Regentengestalt mit mehreren, sehr verschiedenen Gesichtern, auf einen Charakter von verwickelter Mehrschichtigkeit: alsbald ins Werk gesetzte, kostspielige Einfülle, aber auch weitsichtiges, auf Ökonomie bedachtes Planen, verschwenderische Prachtliebe, dann eingezogene Lebenshaltung, philanthropisches (menschenfreundliches) Bestreben neben menschenverachtender Brutalität, schließlich gar eine öffentlich bekannte, auch spürbar verwirklichte Sinneswandlung."
Wer war dieser Herzog Carl Eugen, der einem rein protestantischen Land vorstand, aber selbst der katholischen Religion zugehörte? Und warum residierte er erst in Stuttgart und dann in Ludwigsburg? Um diese Fragen zu beantworten, muss kurz auf die württembergische Geschichte zurückgegriffen werden. 1733 war der letzte württembergische Herzog der Stuttgarter Linie Eberhard Ludwig, ohne Leibeserben, gestorben. Er hatte damit für Alexander die württembergische Nebenlinie Winnentaler freigemacht. Eberhard Ludwig war mit „der Graevenitz" liiert gewesen. Da seine rechtmäßige Gattin das Schloss in Stuttgart nicht räume wollte, hatte er auf Drängen der Graevenitz den Erlachhof bei Eglosheim zu einem Schloss und zu seiner Residenz ausbauen lassen, die er die „Ludwigsburg" nannte.
Sein Nachfolger war Karl Alexander. Dieser, ein berühmter Heerführer kaiserlichen Armee, hatte unter Prinz Eugen, den er hoch verehrte, gegen die Türken gekämpft. Seine Begeisterung für Prinz Eugen brachte er auch dadurch zum Ausdruck, dass er den Namen seiner drei Söhne Carl, Ludwig und Friedrich jeweils den Namen „Eugen" hinzufügte. Er war verheiratet mit einer Prinzessin von Thurn und Taxis, zuvor jedoch der katholischen Kirche beigetreten. Als katholischer Herrscher musste Karl Alexander deshalb, als er 1733 die Regentschaft in Württemberg antrat, außer dem Tübinger Vertrag auch die Religionsreversalien unterschreiben. Diese besagten, dass er die evangelische Religion zu schützen und sie als Staatsreligion beizubehalten hatte. Seinem persönlichen Glauben durfte er treu bleiben.
Bereits vier Jahre später (1737) starb Karl Alexander. Damit wurde sein neunjähriger Sohn, Carl Eugen, Thronanwärter. Bis zu dessen Regierungsantritt verwalteten verschiedene fürstliche Administratoren das Land. Carl Eugen selbst und seine Brüder waren 1741 Friedrich II. (dem Großen), König von Preußen, zur Erziehung übergeben worden. Sie kehrten aber bereits 1744 wieder nach Stuttgart zurück, nachdem Friedrich der Erste beim Kaiser die Volljährigkeit und damit die Anerkennung seiner Regierungsfähigkeit erwirkt hatte. Carl Eugen war damals 16 Jahre alt. Auf dem Rückweg von Berlin verlobte er sich mit der Nichte Friedrichs II., der Prinzessin Elisabetha von Brandenburg-Bayreuth, die er 1748 heiratete. Auf Wunsch der Stuttgarter gründete er seine Residenz in Stuttgart. Da er aber seiner Verlobten nicht das kalte, alte Schloss zumuten wollte, begann er sogleich mit dem Bau des „Neuen Schlosses".
Auch Carl Eugen musste bei seinem Regierungsantritt die Religionsreversalien und den Tübinger Vertrag unterschreiben. Jener Tübinger Vertrag, der 1514 Württemberg vor dem Staatsbankrott gerettet hatte, stellt die erste Verfassung Württembergs dar. Dieser Vertrag beschnitt allerdings sehr stark die Rechte des Herzogs. Denn ohne die Zustimmung der „Landschaft", der Stände, und ohne den „Geheimen Rat" konnte er beispielsweise keine neuen Steuern ausschreiben. Weiter durfte der Herzog weder einen „Hauptkrieg" beginnen, noch anderen Ländern ohne Zustimmung der „Landschaft" Kriegshilfe leisten.
Die „Landschaft" bestand aus den Vertretern der Geistlichkeit, dem Adel und den Abgeordneten der Städte. Die Steuergelder, vor allem der Zehnte der Untertanen, flossen in die „Landschaftscassa", die in halbjährigen Raten einen kleineren Teil an die herzogliche Verwaltung (die Rentkammer) gab, den größeren Teil jedoch an die herzogliche Kriegskasse. Diese musste damit die Truppen des Schwäbischen Kreises sowie auch die eigene Haustruppe unterhalten. Die Rentkammer hatte außerdem noch eigene Einkünfte aus dem Grundbesitz des Landes und aus den darauf ruhenden Abgaben sowie aus der Münzprägung und dem Zoll.
Zwischen der „Landschaft" und der herzoglichen Regierung stand noch der „Geheime Rat". Dieser setzte sich aus fünf „Geheimen Räten", drei adligen und zwei bürgerlichen, aber akademisch gebildeten Persönlichkeiten zusammen. Anfangs ließ der Herzog die „Landschaft" allein regieren, später jedoch war sein Regieren ein einziger Kampf gegen die „Landschaft", die ihm das Geld für größere Truppeneinheiten und auch für seine Bauwut und Baulust verweigerte.
Der Herzog versuchte deshalb immer wieder, die „Landschaft" zu umgehen und damit den Tübinger Vertrag zu durchbrechen. Selbst sein Finanzberater, seit 1758 Graf Montmartin, der diesen Vertrag für veraltet und deshalb nicht mehr anwendbar erklärte und ihn in vielen Anläufen und Intrigen außer Kraft setzen wollte, scheiterte an der „Landschaft".
Als es der Herzog trotzdem wagte, in den Jahren um 1762 neue Steuern im Alleingang auszuschreiben, die Monatssteuer beispielsweise, die sich für Gerlingen auf zusätzliche 600 f belief, und als er den Oberamtleuten befahl, Tausende von Gulden direkt an die Rentkammer zu liefern, und nicht an die Landschaftskasse, wandte sich die Landschaft an den Reichshofrat in Wien und damit an den Kaiser des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" um Hilfe.
Ein Beispiel, wie der Herzog die Landschaftskasse zu umgehen suchte, zeigt das folgende Vorkommnis aus unserer nächsten Umgebung: Christoph Schmid von Schöckingen hatte durch Lieferung von Kalk und roten Ziegeln eine größere Forderung an den Herzog. Dieser bestimmte nun, dass diese und nachfolgende Forderungen mit dem Zehnten von Schöckingen, unter Ausschluss der Pfarrbesoldung, dem ganzen Zehnten von Eltingen und dem Herrschaftsdrittel von Höfingen sowie Hemmingen zu begleichen seien.
Der endgültige Urteilsspruch aus Wien, der den Herzog in allen Teilen für schuldig erklärte, erfolgte dann erst 1770. Um diesen Schuldspruch abzumildern, nannte man ihn „Erbvergleich". Ein „Vergleich" war es allerdings nicht, denn der Herzog musste in allen Teilen nachgeben. „Erb"vergleich hieß der Vertrag nur deswegen, weil er auch für seine Nachfolger bindend sein sollte; auch sein Bruder Ludwig Eugen musste ihn unterschreiben.
Stuttgart hatte sich übrigens geweigert, die ungesetzliche Monatssteuer zu bezahlen. Die Folge war, dass der Herzog aus Verärgerung darüber kurzerhand 1764 Stuttgart den Rücken kehrte und seine Residenz von Stuttgart nach Ludwigsburg verlegte.